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„Was wir brauchen, ist ein Wettbewerb der Werte“ – Prof. Dr. Dr. Alexander Brink über die ökonomische Neuorientierung in Post-Corona-Zeiten




Blick auf das Meer

Während die Flugzeuge im Hangar warten und Fernreisebusse auf Parkplätzen abgestellt wurden, hat die deutsche Bevölkerung mit ihren heimischen Gärten und Balkonen vorliebgenommen. Wer kann, bleibt zuhause – und das ist auch gut so. Wie aber verhalten sich Unternehmen, wenn Menschen kaum bis gar nicht mehr verreisen, vorwiegend über den Onlinehandel konsumieren und ihren Alltag in den eigenen vier Wänden verbringen? Prof. Dr. Dr. Alexander Brink, Professor für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Universität Bayreuth, lehrt und forscht seit 20 Jahren im „Philosophy & Economics“-Programm an der interdisziplinären Schnittstelle von Ökonomie und Philosophie. In Post-Corona-Zeiten plädiert er für eine Blue-Ocean-Strategie: Erfolgreiche Unternehmen sollten sich konsequent an ihren Werten ausrichten und dabei ökonomieoptimistisch bleiben.

Viele Menschen haben Verständnis für die einschränkenden Maßnahmen während der Corona-Krise – wie beurteilen Sie die Lage aus Sicht der Wirtschafts- und Unternehmensethik?

Wenn ich ehrlich bin, überrascht mich das hohe Maß an Verständnis, Fürsorge und verantwortungsbewusstem Handeln weniger auf Seiten der Bürger*innen als vielmehr auf Seiten der Unternehmen. In Forschung und Beratung haben wir uns in den letzten 20 Jahren intensiv mit Fragen der Umsetzung von verantwortungsvollem Handeln in Unternehmen befasst und konnten bereits viele Erfahrungen sammeln. Diese „menschliche“ Seite der Verantwortungsträger unserer deutschen Wirtschaft ist m. E. vorbildlich und zeigt, welch wichtiges Erbe wir mit der sozialen Marktwirtschaft in die Gegenwart retten. Das haben wir einigen Ländern voraus.

Welchen Beitrag leistet hierbei die Wirtschafts- und Unternehmensethik?

Die Wirtschafts- und Unternehmensethik befasst sich mit normativen Fragestellungen von Ökonomie – meist im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen. Die Nachhaltigkeitsdebatte etwa balanciert zwischen ökonomischen, ökologischen und sozialen Ansprüchen. Die Corona-Krise verdeutlicht uns gegenwärtig, wie Regionen, Länder, ja die gesamte Welt einen kollektiven Abwägungsprozess zwischen Gesundheit, Freiheit und Wirtschaft durchführt. Darüber hinaus wird deutlich, wie unterschiedliche gesellschaftliche Akteure, der Staat, die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft zusammenwirken. Während die wirtschaftlichen Folgen für Wachstum, Arbeitslosigkeit oder Insolvenzen bereits gut prognostiziert werden – gleiches gilt im Übrigen für die gesundheitlichen Daten – bleiben die gesellschaftlichen und wirtschaftsethischen Folgen bislang unterbelichtet. Offen bleibt z.B. die Frage, ob wir nach der Krise so weiter machen werden wie vor der Krise oder – wovon ich ausgehe – ob wir mit einer anderen Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Haltung wirtschaften werden. Ökonomie braucht nun eine Neu-Orientierung.

Inwiefern macht die derzeitige Lage auf die Frage aufmerksam, ob wir die Grenzen unseres Wachstums inzwischen erreicht haben?

Es gibt zahlreiche Post-Wachstumstheorien, heterodoxe Ökonomiekonzepte und Gemeinwohlökonomien. Im letzten August haben 181 US-Topmanager eine „Erklärung zum Zweck eines Unternehmens“ der Vereinigung Business Roundtable unterzeichnet und die Abkehr vom Shareholder-Value beschworen. Die FAZ titelte „Eine Chance für die Zukunft“ und sah darin einen „wichtigen Schritt“ in Richtung Nachhaltigkeit.

Ich könnte mir gut vorstellen, dass sich nach der Corona-Krise das Konsum- oder auch das Urlaubsverhalten der Menschen ändert. Auch im Management werden Dinge überdacht werden: es wird vermutlich weniger geflogen, Wertschöpfungsketten und Abhängigkeiten werden kritisch überprüft. Die große Aufgabe wird sein, gelingt uns diese Veränderung gegen oder mit der Ökonomie. Und an der Stelle bin ich sehr ökonomieoptimistisch. Eine ausbalancierte Wirtschaft kann durchaus nachhaltig wachsen, vielleicht nicht durch „Fast Fashion“-Produkte, Flugreisen oder All-inclusive-Urlaube. Entscheidend ist, was uns wichtig und etwas wert ist. Vielleicht bewerten wir die Arbeit einer Pflegekraft im Gesundheitswesen neu, vielleicht wählen die besten jungen Fach- und Führungskräfte in Zukunft sinnstiftende Unternehmen als Arbeitgeber aus?

Was muss sich dann in der Wirtschaft konkret ändern?

Wir brauchen eine Ökonomie, die die Grenze zwischen dem Ökonomischen und dem Nicht-Ökonomischen überwindet. Ökonomie ist doch immer eingebunden in andere Disziplinen wie Psychologie, Soziologie und natürlich Philosophie. Die beiden prominentesten Konzepte, die wir gegenwärtig in der Unternehmenspraxis umsetzen und mit den Führungskräften intensiv diskutieren, sind Corporate Responsibility und Corporate Sustainability. Es geht um eine ausbalancierte, verantwortbare Neu-Orientierung der Ökonomie im Spannungsfeld unterschiedlicher Disziplinen, Werte und Interessen. Wir arbeiten in den letzten Jahren mit Pionieren wie der GLS-Bank oder Daimler zusammen. Im Zentrum stehen neue Produkte und Dienstleistungen, Berichtsformate, Kennzahlensysteme, Personalentwicklungsprogramme oder Vertriebsstrategien.

Müssen sich dann nicht auch die Studienprogramme an den Universitäten weiterentwickeln?

In der Tat. Wir haben in Bayreuth mit unseren interdisziplinären Programmen zum Beispiel in der Kombination von Ökonomie und Sport (der Sportökonomie), in der Kombination von Ökonomie und Gesundheit (der Gesundheitsökonomie) und in der Kombination Ökonomie und Philosophie (Philosophy & Economics) gezeigt, dass man Ökonomie interdisziplinär in Forschung und Lehre betreiben kann.

Aber es sind nicht nur Forschung und Lehre, die sich weiterentwickeln werden. Die Universität Bayreuth versteht ihre „Third Mission“ als Austausch von Wissen zwischen der Universität und Akteuren aus Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik zur Erreichung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Innovationen. Es ist der Dialog mit der Gesellschaft, der die Forschung und Lehre letztlich zum Wohle von Wirtschaft und Gemeinwesen entfaltet. Nehmen Sie unsere bayreuther dialoge, eine einzigartige Konferenz, die vom Erst-Semester des Studiengangs „Philosophy & Economics“ organisiert wird. In diesem Jahr wird mit dem Thema „Grenzen“ Herausforderungen adressiert, wie wir sie gerade besprechen. Die bayreuther dialoge zeichnen übrigens seit 14 Jahren auch Vorbilder aus, die sich aus der Deckung wagen – das Unternehmen Tomorrow ist ein wunderbares Beispiel, das zeigt, wie Nachhaltigkeit im Banking funktionieren kann. Oder nehmen Sie Premium Cola, ein schönes Beispiel dafür, wie man den Umgang der Mitarbeiter*innen untereinander gestaltet. Professor Götz Werner zeigt in seinem Unternehmen dm, wie man in bestimmten Branchen mit einer besonderen Unternehmenskultur klug differenzieren kann. Es gibt sie, die sinnstiftenden Vorreiter-Unternehmen, die Ökonomie anders betreiben und dennoch erfolgreich sind.

Wie können sich Unternehmen entsprechend positionieren?

Wir brauchen einen „Wettbewerb der Werte“, eben nicht mehr einen um Produkte und Dienstleistungen – wir nennen das den Blue Ocean der Werte, in dem Unternehmen sich gerade über spezifische Überzeugungen im Markt differenzieren können. Es geht nun um die Frage, was ist sinnvolles bzw. sinnstiftendes Arbeiten – hier v.a. um die Art und Weise der Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter*innen. Viele Unternehmen wie z.B. Otto betreiben konkrete Projekte zum „Kulturwandel“ oder nehmen Sie den Film „Die stille Revolution“, der u.a. an der Universität in Bayreuth gedreht wurde – 100 Minuten über Werte. Allerdings beobachten wir auch eine Zunahme an greenwashing – also Fälle, in denen Unternehmen sich einfach besser darstellen als sie wirklich sind. Hier müssen wir weiterhin aufmerksam und wachsam bleiben.


Kontakt:
Prof. Dr. Dr. Alexander Brink
Professor für Wirtschafts- und Unternehmensethik
Universität Bayreuth, Institut für Philosophie
Universitätsstr. 30, 95447 Bayreuth

Tel.: 0921/ 55- 4122
alexander.brink@uni-bayreuth.de
www.pe.uni-bayreuth.de
www.unternehmensethik.org

Berufsbegleitende Lehrgänge & Seminare:
CR-Management für Praktiker
Fairness-Management

Redaktion:
Anna-Theresa Lienhardt
Tel.: 0921/ 55-7302
anna-theresa.lienhardt@uni-bayreuth.de

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