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Ein Vierbeiner sorgt für Unruhe: Nachbericht zum Forum Waldkontroversen 2023




Eine weiblich gelesene Person steht mit einem Mikrofon vor einer Power-Point-Präsentation.

Bayreuth, 30. Oktober 2023

„Es geht uns heute nicht um die Kontroverse per se, sondern darum, gemeinsam Lösungen zu finden.“ Mit diesen Worten begrüßte Dr. Gregor Aas vom Ökologisch-Botanischen Garten der Universität Bayreuth rund 120 Besuchende des Forums Waldkontroversen im SWO Tagungszentrum. Hier hatte sich am 20. Oktober ein Publikum aus Jäger*innen, Waldbesitzenden, Forstleuten, Expert*innen und Studierenden versammelt, um in der fünften Ausgabe der Veranstaltung über das Thema „Jagdwende – notwendig für den Wald?“ zu debattieren.

Das Organisations-Team, zusammengesetzt aus Kolleg*innen des Bayreuther Zentrums für Ökologie und Umweltforschung (BayCEER), des Ökologisch-Botanischen Gartens der Uni Bayreuth sowie der Campus-Akademie für Weiterbildung, hat auch in diesem Jahr wieder eine debattenreiche Veranstaltung auf die Beine gestellt. In dessen Augenschein diesmal das Rehwild und den durch ihn verursachten Einfluss auf die Verjüngung unserer Wälder stand.

20 Millionen Jahre Evolution: Das Rehwild als bestens angepasster Kulturfolger

Ein Opportunist sei es, das Rehwild, und es habe „eine sehr hohe Anpassungsfähigkeit“, so Dr. Martina Hudler von der Hochschule Weihenstephan. Hudler klärte auf über die Besonderheiten dieser resilienten Art, die in den deutschen Wäldern derzeit auf eine hohe und ganzjährige Nahrungsverfügbarkeit trifft. Die Jagd habe Hudler zufolge derzeit auf großen Flächen keinen Einfluss auf die Höhe der Rehwildpopulationen, zu gut angepasst sei es an die durch den Menschen veränderte Kulturlandschaft. Die daraus resultierende Folge: Das Rehwild beeinträchtigt durch den Verzehr der Triebspitzen junger Bäume – auch Rehwildverbiss genannt – die Verjüngung des Waldes. Dadurch gefährdet es den dringend nötigen Umbau der Wälder hin zu naturnäheren Mischwäldern in Zeiten des Klimawandels. Freilich, so Hudler, war es der Mensch, der dafür gesorgt hat, dass Rehe heute so zahlreich in unseren Wäldern sind. Denn mit der durch den Menschen verursachten Ausrottung von Wolf und Luchs verschwanden wichtige natürliche Feinde.

Weiblich gelesene Person sitzt in einem Publikum, redet und hält ein Mikrofon in der Hand.

Zu viel Wild, zu wenig Jagd, zu wenig Verjüngung

Prof. Dr. Torsten Vor, Professor für Waldbau urbaner Wälder und Waldbautechnik an der Hochschule Göttingen, stellte dem Publikum aktuelle Forschungsergebnisse zum Thema Rehwildverbiss vor. Ihm zufolge gäbe es zwar nach wie vor Flächen ohne gravierenden Rehwildverbiss, die pflanzliche Biomasse sei jedoch in den durch einen Zaun geschützten Flächen bis zu fünf Mal so hoch wie außerhalb dessen. Damit habe der Rehwildverbiss „signifikante Effekte“ auf die Diversität und Dichte junger Bäume. Laut Vor seien jagdliche und waldbauliche Maßnahmen erforderlich. „Allein Jagd wird das Problem nicht beantworten“, schloss er in seinem Fazit. „Zäune“ seien, so ein Einwand aus dem Publikum, jedoch auch „keine Option“.

Eberhard Baron von Gemmingen-Hornberg, Vertreter des Bayerischen Jagdverbandes, hielt einen anthroposophisch anmutenden Vortrag, der für die ein oder andere anwesende Person zu sehr den moralischen Zeigefinger hob. Die Jagdwende, so Gemmingen-Hornberg, sei dringend nötig, doch müsse sie „intelligent, pragmatisch und zielgerichtet“ sein. Die Jagd habe eine dienende Funktion am Wald. Angesichts der Situation erwarte er sich etwas mehr „Demut und Pragmatismus“.

„Wir wollen auch nicht, dass draußen ständig jemand herumschleicht“

Über effiziente und nachhaltige Jagdpraktiken sprach Silvia Backhaus vom Ökologischen Jagdverband Bayern. Aus ihrer Sicht jage nur ein kleiner Teil der Jäger*innen effektiv. Wichtig sei es, auch unter Zuhilfenahme moderner Techniken wie Drohnenüberwachung und GPS-Tracking, herauszufinden, wo Rehe gehäuft vorkommen, um dann zeitlich begrenzt intensiv zu jagen. Dadurch könne auf anderen Flächen der Jagddruck minimiert werden, um das Wild nicht unnötig zu stören. Trotz Fortschritt und Innovation: Was dem Nutzen der als Hobby betriebenen Jagd weiterhin massiv im Weg stehe, sei laut dem Juristen Wilhelm Bode eine „exorbitante Jagdbürokratie“.

Personen sitzen an Tischen in einem hellen Raum und hören einem Vortrag zu

Eigenbewirtschaftung  eine Alternative zur Verpachtung von Jagdrevieren

Üblicherweise verpachten Jagdgenossenschaften ihr Jagdrecht an private Jäger*innen. Eine bislang nur selten genutzte Alternative dazu ist die Ausübung der Jagd auf den Flächen einer Jagdgenossenschaft in Eigenregie. Über die langjährigen Erfahrungen mit der Eigenbewirtschaftung der Jagd berichtete Gerhard Huber von der Jagdgenossenschaft Kay in Oberbayern. Anlass, die Jagd durch von der Jagdgenossenschaft beauftragte Jäger auszuüben, waren hohe Verbissschäden im Wald. Durch deutlich erhöhte Abschusszahlen beim Rehwild ist es schon nach wenigen Jahren gelungen, dass selbst die sehr verbissbelastete Tanne sich ohne zusätzlichen Schutz in den Wäldern rund um Kay gut natürlich verjüngen kann.

Anstrengend und schlecht bezahlt: Im Wald herrscht Fachkräftemangel

Ein klares Bild der derzeitigen Situation im deutschen Wald wurde im letzten Programmpunkt, der Podiumsdiskussion, gezeichnet: Ein Zuviel an Rehwild träfe im Wald auf einen „Fachkräftemangel“ innerhalb der Jägerschaft, die laut Silvia Backhaus einen „anstrengenden und schlecht bezahlten Job“ ausübe. Wilhelm Bode betonte, dass dieses Problem gelöst werden müsse: „Die Gesellschaft wird uns fragen: Wie habt ihr unsere Wälder hinterlassen?“, mahnte er. Auf Konfrontation gingen auch die beiden Parteien des Bayerischen Jagdverbands und der Waldbesitzenden: In den Wäldern seien Fehler passiert, oftmals hätten jedoch auch die Politik und der Staat Situationen ausgesessen. Götz Freiherr von Rotenhan kommentierte in diesem Zusammenhang: „Es ist keine Frage der Schuld“, vielmehr seien wir als Gesellschaft an einer Wende angekommen und müssten umdenken. „Wenn wir den Wald verlieren, dann haben wir ein Problem mit dem Klima“, resümierte der Vertreter des Bayerischen Waldbesitzerverbandes.

Männlich gelesene Person im Wald auf einem mobilen Hochsitz

Flächendeckende Jagd ist effiziente Jagd

Am Tag nach der Diskussionsrunde brach ein Teil des Publikums zur Exkursion in die Wälder des Forstreviers Stadtsteinach auf. Daniel Kraus, Leiter des Forstbetriebs Nordhalben der Bayerischen Staatsforsten, und Revierleiter Jonas Duscher, stellten dort das Jagdkonzept ihres Forstbetriebs vor. Dieser kämpft aktuell massiv mit Borkenkäferschäden, weshalb ein Großteil der Arbeit darin liegt, geschädigte und intakte Wälder durch Naturverjüngung in stabile Mischwälder umzuwandeln. Die Exkursionsgruppe diskutierte darüber, wie das Rehwild effektiv bejagt werden kann, sodass eine artenreiche Verjüngung der Baumarten ohne zusätzlichen Schutz möglich ist. Eine bemerkenswerte Neuerung in diesem Zusammenhang sind mobile Kletterhochsitze, die verstärkt im Forstbetrieb eingesetzt werden.

Am Nachmittag besuchte die Gruppe den Privatwald von Wolf von Aufseß bei Mengersdorf. Bedingt durch Borkenkäferschäden sind dort große Kahlflächen entstanden. Die Diskussion konzentrierte sich darauf, wie der Rehwild-Abschuss erhöht werden müsse, um den Wald auf diesen Schadflächen wieder erfolgreich zu verjüngen.

Drei Personen in traditioneller Jagd-Kleidung stehen beim Kaffee an einem Tisch zusammen

Mehr Dialog, intelligente Technik und lebensbegleitendes Lernen

Eine emotionale Debatte war es allemal: Das Forum Waldkontroversen 2023 hat verdeutlicht, vor welch großen Herausforderungen Jäger*innen und Waldbesitzende derzeit stehen. Im Sinne eines konstruktiven Dialogs war es das Ziel des Forums, die unterschiedlichen Parteien zusammenzubringen und gemeinsam Lösungen zu finden. Weitgehend einig war man sich in der Aussage, dass gesetzlich-administrative Änderungen sowie der intelligente Einsatz neuer Technologien nötig sind, um die Zukunft des Waldes zu sichern. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf der Stärkung der Rechte der Waldbesitzenden sowie einer guten Aus- und Weiterbildung der Jäger*innen liegen.

Betont wurde aber auch, dass der Schutz der Wälder nicht allein die Aufgabe von Waldbesitzenden und Jäger*innen sei. Weiter den Dialog zwischen Wissenschaftler*innen, Expert*innen, Gemeinden, Behörden und der breiten Öffentlichkeit zu fördern, ist daher von entscheidender Bedeutung. Ein Schritt in diese Richtung wurde beim Forum Waldkontroversen 2023 gewagt und – darin bestand Einigkeit – es hat sich gelohnt.


Redaktion

Anna-Theresa Lienhardt, M.A.
Campus-Akademie für Weiterbildung
Universitätsstr. 30
95447 Bayreuth
anna-theresa.lienhardt@uni-bayreuth.de
0921 / 55-7302

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